„Gegen das Vergessen“-Ausstellung / Amira Gezow aus Mannheim im Portrait (mit Fotogalerien)

Die Ausstellungen und Dokumentationen des in Mainz geborenen Fotografen und Filmemachers Luigi Toscano, der irgendwann Weltruhm ab einer Station seiner Schaffenskraft in Mannheim erreichte, sind fänomenal. Noch bis 06.07.2022 ist die Fotoausstellung mit dem Titel „Gegen das Vergessen“ im Schulhof der Integrierten Gesamtschule Ernst Bloch in Ludwigshafen-Oggersheim zu sehen.

Einladung der NaturFreunde Ludwigshafen zum moderierten Ausstellungsbesuch

(Facebook-Einladung der NaturFreunde)

Etwas kurzfristig kommuniziert lud die Ortsgruppe der NaturFreunde in Ludwigshafen/Rhein für den 03.07.2022 ein. Trotz großer Hitze nahmen generationenübergreifend 12 Personen an der Veranstaltung teil.

Infobox:

Dr. Ernst Bloch wurde 1885, als Sohn einer jüdischen Familie aus der Pfalz,  in Ludwigshafen geboren. 1905 legte er das Abitur am humanistischen Gymnasium seiner Geburtsstadt ab und nahm das Studium der Philosophie an der Universität München auf.  An der Universität Würzburg wurde er 1908 promoviert. Bloch war Gegner des 1. Weltkriegs und emigrierte deswegen in die Schweiz. Während der Weimarer Republik kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete u.a. als freier Journalist in Berlin. 1933 wurden Bloch und seine ebenfalls jüdische Lebensgefährtin von den Hitler-Nazis ausgebürgert und emigrierten in die Schweiz. Bloch war Anhänger des Stalinismus, was ihm harsche Kritik von Kollegen einbrachte. Später korrigierte er diese Position und bezeichnete seine frühere Haltung als schweren Fehler. Ab 1939 lebte Bloch in den USA. Von 1948 – 1961 lehrte Bloch an der Universität Leipzig. Bloch kritisierte das SED-Regime wegen dessen Umgang mit dem Volksaufstand in Ungarn 1956. Daraufhin wurden politische Kampagnen gegen ihn gefahren. Von einer Auslandsreise in den Westen kehrte er 1961 nicht mehr in die DDR zurück. In der BRD nahm er eine Gastprofessur an der Universität Tübingen an. 1970 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Ludwigshafen verliehen. Im Alter von 92 Jahren verstarb Bloch 1977 in Tübingen. Von Fachleuten wird sein literarisches Werk heute dem Neomarxismus zugeordnet. An Bloch erinnert in Ludwigshafen ein Stolperstein vor dem Haus Rheinblock 54b. Der Philosoph ist Namensgeber der Integrierten Gesamtschule im Stadtteil Oggersheim und eines Kultur- und Wissenschaftsinstituts in der Ludwigshafener Innenstadt.

Im Fokus: Amira Gezow und was diese Person mit der Bürkel-Wagner-Aktion 1940 zu tun hat

Die Zeitzeugin Amira Gezow verstarb im Dezember 2020 infolge einer überstanden geglaubten Infektion mit Covid19 im Alter von 91 Jahren in Israel an Long Covid-Beschwerden.

Amira Gezow kam mit ihren Eltern von ihrem Geburtsort Coesfeld nach Mannheim. Ihr Vater war Jurist und hatte dort eine Beschäftigung gefunden. In Mannheim besuchte sie das heutige Wirtschaftsgymnasium. Dort soll heute eine Plakette an die ehemalige Schülerin erinnern. 1940 erlitt ihre Familie das Schicksal vieler, zigtausender jüdischer MitbürgerInnen in Baden und der Pfalz: Im Rahmen der sogenannten Bürkel-Wagner-Aktion wurde die Familie zunächst in das französische Internierungslager Gurs verbracht. Die Eltern wurden von dort aus zeitnah nach ihrem Eintreffen ins Vernichtungslager der NSDAP nach Ausschwitz deportiert. Es muss angenommen werden, dass die Eltern direkt nach ihrem Ankommen dort getötet wurden, da es keine weiteren Aufzeichnungen über deren Verbleib mehr zu existieren scheinen. Amira selbst kam später nach Ausschwitz und überlebte den Holocaust als 15-jähriges Mädchen. Über den Umweg Schweiz kam Amira nach Israel. Lernte ihren Mann Zviw dort kennen und gründete eine Familie. Sie wollte nie mehr nach Deutschland zurückkehren.

Paul Bach zitiert Amira Gesow: „Spuckt mir doch wieder ins Gesicht“

Als sach- und fachkundiger Berichterstatter führte Paul Bach, als Mitglied der NaturFreunde Ludwigshafen durch die Ausstellung. Der rüstige 80-jährige Bach lernte Amira Gesow ab 1990 persönlich kennen. Damals war er noch Mitarbeiter des Jugendamts Mannheim und betreute, nach eigenen Angaben, zwischen 1990 und 1992 das Videoprojekt „Spurensuche – das Leben ist stärker“. Zusammen mit acht Jugendlichen und einem Kameramann begab er sich auf Spurensuche nach jüdischen Menschen aus Mannheim, die den Holocaust überlebt hatten, aber ein Leben danach in der Diaspora gesucht und gefunden hatten und nicht mehr nach Deutschland kommen wollten, um hier zu leben. Aus dem Projekt entstanden drei Filmbeiträge, die im VHS-Videoformat veröffentlicht wurden. Dies im Auftrag der Stadt Mannheim, wie man dies im Impressum einer Videokassette am 03.07.2022 in Ludwigshafen ablesen konnte.

Paul Bach, NaturFreunde Ludwigshafen, und seit Jahrzehnten eng mit der Familie Amira Gesow verbunden

Teile eines inzwischen digitalisierten Films aus der Projektzeit wurden in Ludwigshafen den TeilnehmerInnen gezeigt. Dort erscheint Amira Gesow als willensstarke Frau, die bereitwillig in Interviews Angaben zu ihrer dramatischen Vita macht. In Israel arbeitete sie u.a. in einem Kibbuz ehemaliger KZ-Widerstandskämpfer als Übersetzerin von Dokumenten aus Zeiten der Hitlerdiktatur und beschäftigte sich auch mit der Zusammenstellung handschriftlicher Musikkompositionen ehemaliger KZ-Insassen.

Erst nach langem Bitten, so Paul Bach, kam Amira Gesow Anfang der 1990er Jahre erstmals wieder auf Einladung der Stadt Mannheim nach Deutschland. Die jüdische Gemeinde in Mannheim habe das Vorhaben damals nicht aktiv unterstützt, eben so wenig wie das städtische Videoprojekt.

Daraufhin bereiste Amira Gesow Deutschland viele Male, um an Schulen als Zeitzeugin zu referieren, u.a. auch in Freiburg.

Zeit ihres Lebens, so Paul Bach, stand Amira Gesow der Gedenkkultur an das durch Nazideutschland vernichtete jüdische Leben kritisch gegenüber. So soll sie die „Stolperstein-Aktion“ kritisiert haben. Sinngemäß „Damals wurde ich geschubst und bespuckt, heute spucken sie auf Stolpersteine“. Besonders kritisierte sie, laut Bach, den gläsernen Kubus in den Mannheimer Planken, als nicht-jüdische Gedenkstätte, da diese dem jüdischen Glauben an Verstorbene keinerlei Ehre darbieten würde.

In der Tat ist so, dass dort in Mannheim an prominenter Stelle in der Innenstadt dem jüdischen Ritus für Verstorbene folgend keine Steine oder Notizen abgelegt werden können.

Es gibt noch viel zu tun in Sachen Gedenkarbeit

Großer Nachfrage erfreuen sich die von Luigi Toscano seit 2015 gestalteten Foto-Ausstellungen im öffentlichen Raum. Große Arbeit hat auch Paul Bach noch vor sich, um das weitere Filmmaterial aus dem Mannheimer 1990er-Jahre Filmprojekt zu digitalisieren. Dieses wichtige Dokumentationsmaterial für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen ist eines seiner Ziele in nächster Zeit. Inwieweit die Stadt Mannheim hierbei, als ehemaliger Auftraggeber, von Hilfe sein kann, ist derzeit nicht bekannt.

(Bericht. Rick de la Fuerte / Fotos: Rick de la Fuerte und wie angegeben) – Der Artikel wurde am 05.07.2022 um 14 Uhr bearbeitet. Es wurde die Infobox zu Ernst Bloch ergänzt.

Weiterführende Links:

https://www.luigi-toscano.com/

https://www.naturfreunde-rlp.de/